- Klopstock: Die religiöse Berufung des Dichters
- Klopstock: Die religiöse Berufung des Dichters»Sing, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung,Die der Messias auf Erden in seiner Menschheit vollendet,Und durch die er Adams Geschlechte die Liebe der GottheitMit dem Blute des heiligen Bundes von neuem geschenkt hat.«Höher kann ein Dichter nicht greifen. Die ersten Verse des »Messias« bereits, an Homer wie an Milton Maß nehmend, lassen die Kühnheit erkennen, die der junge Klopstock seiner Dichtung zumutet. Den höchsten aller möglichen Gegenstände will sie besingen, die Erlösungstat Christi. Der »Geist Schöpfer« selbst tritt an die Stelle der homerischen Muse. In der Haltung des Gebets ruft die Dichtkunst göttliche »Entzückung« auf sich herab, das gottinspirierte »Feuer« des Enthusiasmus. »Nachahmerin« des Schöpfergeistes ist sie, beansprucht höchstes Schöpfertum. Dazu befähigt sie die »unsterbliche Seele« des Dichters, die selbst an den tiefsten Geheimnissen des Heilsplans teilzunehmen vermag. Die höchste Poesie ist »heilige Poesie«.1748 erschienen die drei ersten Gesänge des »Messias« und begründeten sogleich Klopstocks Ruhm. In Form einer Vision, als religiöse Berufung, ergriff die Idee des religiösen Großepos schon den Zögling der sächsischen Fürstenschule Schulpforta. Während des Theologiestudiums in Jena und Leipzig wurde der Prosaentwurf in deutsche Hexameter umgegossen. Die gottschedkritischen »Bremer Beiträge« ermöglichten die Veröffentlichung. Bis 1773 kamen 20 Gesänge zustande. Der »Messias« wurde zu Klopstocks Lebensaufgabe. Ihn selbst nannte man den »poetischen Messias«.Zehn Gesänge vertiefen sich in die Passion des Gottessohnes, zehn weitere Gesänge verherrlichen den Auferstandenen, den Verklärten, den Weltenrichter. So unerhört der Gegenstand, so unerhört sind die sprachlichen Anstrengungen der »heiligen Poesie«. Die Distanznahme des homerischen Epos ist angesichts eines Geschehens, das sich universell und präsentisch ereignet, den gesamten Kosmos erfasst und die unsterbliche Dichterseele unmittelbar betrifft, unmöglich. Der erhabene Enthusiasmus überspringt die gegenständliche Anschauung und sprengt die Ordnung von Zeit und Raum. Mit unfassbaren Zahlenangaben (»Myriaden von Seraphim«, »Tausendmal tausend« Geister) suggeriert der Sänger die Geisterwelt. Mit unvorstellbaren Bewegungsabläufen und kosmischen Raumfluchten setzt er das moderne kopernikanische Weltsystem ins Bild. Dabei herrscht der kosmische Plural:»Entfliehend und ferneGeht die bewölkte Natur vorüber. Da eilen die ErdenKlein, unmerkbar dahin, wie unter dem Fuße des WandrersNiedriger Staub, von Gewürme bewohnt, aufwallet, und hinsinkt.Um den Himmel herum sind tausend eröffnete Wege,Lange, nicht auszusehende Wege, von Sonnen umgeben.«Nicht weniger modern ist die aufs höchste bewegte Innerlichkeit, deren Empfindungen die Geschehnisse immer wieder überfluten. So will es das Programm der »heiligen Poesie«, das Klopstock 1755 formulierte: »Die letzten und höchsten Wirkungen der Werke des Genie sind, dass sie die ganze Seele bewegen.« Sie müssen »uns mächtig daran erinnern, dass wir unsterblich sind, und auch schon in diesem Leben, viel glückseliger sein könnten«. Kein Wunder, dass der Sänger des »Messias« seine Theorie des Erhabenen am eigenen Herzen bezeugt:»Wenn ich nicht zu sinkend den Flug der Religion flog,Wenn ich Empfindung ins Herz der Erlösten strömte; so hat michGottes Leitung getragen auf Adlersflügeln! es hat mich,Offenbarung, von deinen Höhn die Empfindung beseligt!«Kein Wunder auch, dass solches Sendungsbewusstsein das Selbstbewusstsein des »Messias«-Dichters und seine Auffassung vom Dichterberuf prägte. »Die Würde des Gegenstandes erhöhte dem Dichter das Gefühl eigner Persönlichkeit«, hat Goethe dazu bemerkt und Klopstock das Recht zuerkannt, »sich als eine geheiligte Person anzusehn«. Ins Profane übersetzt bedeutet das: Mit Klopstock gewinnt das Dichtergenie eine neue, autonome Würde. Die Gemeinde der vor allem jugendlichen und weiblichen Klopstock-Verehrer bekräftigte diese Rolle. Die dänische Pension, von König Friedrich V. 1751 gewährt und dann bis ans Lebensende gezahlt, betrachtete Klopstock als angemessenen Ausdruck für seine Leistung. Sie ermöglichte ihm ein Leben, das sich ganz der dichterischen Existenz widmen konnte. Seit 1751 lebte er in Kopenhagen, seit 1770 in Hamburg, jeweils im Kreis gleich gesinnter Literaten und Gelehrter.Von kaum geringerer Wirkungskraft als der Epiker war der Lyriker Klopstock, obwohl er seine Lyrik eher als Nebenwerk verstand. Den »großen Wiederhersteller des lyrischen Gesanges« nannte ihn Hamann. Die deutsche Literatur verdankt ihm die Erneuerung der antiken Strophenformen, die Gattung der hymnischen Ode, die Erfindung der freien Rhythmen. Der erhabene Ton des »Messias« beflügelt auch die Lyrik. So erobert sie nicht nur ganz neue sprachliche und metrische Möglichkeiten, sie erschließt zugleich die Empfindungsräume einer hymnisch gestimmten Subjektivität und bereitet damit der Empfindsamkeit den Boden. Zunächst nur in Abschriften und Einzeldrucken kursierend, kamen Klopstocks Oden erst 1771 in einer Sammelausgabe heraus - gerade rechtzeitig für die Hymnik des jungen Goethe.Eigentümliche Zukunftsbilder, die »Die künftige Geliebte« oder den eigenen und der Geliebten Tod imaginieren (»An Fanny«, »Der Abschied«), gewinnen dem Motiv der Liebe ein Höchstmaß an lustvoller Wehmut ab. Gleichen Rang nimmt der Preis der Freundschaft ein. Auch hier dient die melancholische Vorwegnahme von Tod und offenen Gräbern der gezielten Empfindungssteigerung (»An Ebert«). Kosmische Dimensionen erreicht die Feier von Freude und Freundschaft in »Der Zürchersee«, dem Erinnerungsbild einer denkwürdigen Seefahrt, die am 30. Juli 1750 tatsächlich stattgefunden hat:»Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung PrachtAuf die Fluren verstreut, schöner ein froh Gesicht,Das den großen GedankenDeiner Schöpfung noch Einmal denkt.«»Frei aus der schaffenden Seel enttaumeln« namentlich die religiösen Naturhymnen. Frei würfeln sie Reminiszenzen an antike Strophik durcheinander und verschaffen sich nach dem Muster der biblischen Psalmen eine Bewegung, in der die Seele, freirhythmisch schwebend, ihre Anbetung ergießt. Von der kopernikanischen Demütigung des Menschen und seiner Erde wird die unsterbliche Seele nicht angefochten, im Gegenteil:»Hier steh ich Erde! was ist mein Leib,Gegen diese selbst den Engeln unzählbare Welten,Was sind diese selbst den Engeln unzählbare Welten,Gegen meine Seele!«Die berühmte »Frühlingsfeier« rückt neben den »Ozean der Welten« den »Tropfen am Eimer«, die Erde, und bedenkt selbst das »Frühlingswürmchen« mit Tränen der Sympathie, bevor sie dann zu einem Preis des Unendlichen im Gewitter ausholt, uralte Gewitterängste entkräftend, in aufgeklärter Wohlgemutheit den gnädigen gegen den zornigen Gott ausspielend. »Klopstock!« heißt denn auch die »Losung«, mit der sich Goethes Lotte und Werther bei abziehendem Gewitter an jene Ode erinnern und in einem »Strome der Empfindungen« versinken.Nur noch befremdlich muten die Ausflüge des Odendichters in den Patriotismus der Bardenlieder an, die einer Wiederbelebung der germanischen Mythologie das Wort reden. Die Französische Revolution hat der politische Lyriker emphatisch begrüßt (»Sie und nicht wir«). 1793 widerrief er seine Begeisterung (»Mein Irrthum«, »Der Eroberungskrieg«). Als »Deutschlands erster Sänger«, so Herder, am 14. März 1803 starb, war sein Werk schon Geschichte. Zu den wenigen, in denen es weiterlebte, gehörte immerhin Hölderlin.Prof. Dr. Hans-Jürgen SchingsGeschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart, begründet von Helmut de Boor und Richard Newald. Band 6: Aufklärung, Sturm und Drang, frühe Klassik. 1740—1789, Beiträge von Sven Aage Jørgensen u. a. München 1990.
Universal-Lexikon. 2012.